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Ein Band namens Steppenwolf: Eine Hard-Rock-Band, die zu früh gealtert ist

Ke Ma

„Bei der Wiedergründung der Band gab uns die Firma den Namen Steppenwolf, der von Hermann Hesses Roman stammt. Unser Manager schätzte den Roman sehr, und vielleicht spielte auch unser deutscher Hintergrund eine Rolle. Der Name klingt gut und lässt sich sogar auf Englisch leicht aussprechen, obwohl wir das Buch bis heute noch nicht gelesen haben.“ 

Wir hätten damals fast beim Woodstock-Festival gespielt!“ Als der Bassist Nick St. Nicholas erzählte, wie sie das Woodstock-Festival wegen Streitigkeiten verpassten, wurde mir erst bewusst, wie viele zeitgeschichtliche Anklänge in der Geschichte einer Band verborgen sind. Doch diese Band wurde nicht durch das Versäumnis von Woodstock in der Musikgeschichte von 1969 vergessen. Im gleichen Jahr brachte der wegweisende Roadmovie Easy Rider die Hippies von der „Subkultur“ ins öffentliche Bewusstsein und ließ den Titelsong Born to be Wild zum Kult-Hit werden. Im Gegensatz zur ‚British Invasion‘, die damals durch die frühen Beatles vertreten wurde, zeichnete sich Steppenwolf durch lange Haare, Lederjacken und ein eher ‚ungeschliffenes‘ Erscheinungsbild aus. Ihre Musik, die stark von amerikanischer Bluesmusik inspiriert war, wird oft als Ausdruck des aufkommenden amerikanischen Westens angesehen.“

Doch der Stil und die Herkunft der Band lassen sich nicht einfach mit ‚amerikanischem Westen‘ zusammenfassen. Sänger John Kay und Bassist Nick St. Nicholas stammen beide aus Deutschland und lernten sich aufgrund ihrer frühen Auswanderung nach Kanada kennen. Ihre kulturellen Einflüsse sind möglicherweise eine Mischung aus der deutschen Schlagermusik ihrer Kindheit, der konservativen und kühlen Atmosphäre Kanadas und den Namen, die sie aufgrund kultureller Unterschiede ändern mussten. Nach einer erfolglosen Anfangsphase in New York fuhren sie weiter in den lebhafteren Westen – in das junge Musiker-Mekka Los Angeles. Dort kamen sie erstmals mit LSD und psychedelischer Musik in Kontakt. Ihre frühere Band, The Sparrows, spielte zusammen mit Janis Joplin und den Doors. Nach einer Zeit des Rummels und des Wechsels von Mitgliedern entstand schließlich das spätere Steppenwolf.


Ende der 60er Jahre war der amerikanische Westen von Liebe und Rausch erfüllt, die Hippie-Bewegung und anti-Vietnam-Kriegs-Stimmungen beeinflussten und prägten auch die Musikindustrie. Auf dem Cover von Steppenwolf's berühmtester Platte hat der Fotograf scheinbar absichtlich die Band in einem psychedelischen Blumenmeer positioniert. Doch ihre Musik war oft ruhig und einzigartig – der Sänger John Kay, der sich stets mit Sonnenbrille zeigt, ist von Geburt an farbenblind und sieht die Welt nur in Schwarz-Weiß. Als er das Cover in einem Blumenfeld betrachtete, verglich er die blühende Farbenpracht mit seiner eigenen Sicht und versuchte bewusst, sich vom Slogan „Power to the Flower“ abzusetzen. In einem weiteren Interview erzählte er von einem Soldaten, der während des Vietnamkriegs Born to be Wild spielte und so einer drohenden Gefahr entging. Dies berührte ihn und zeigte die soziale Relevanz der Musik, doch gleichzeitig wies er darauf hin, dass solche Kräfte nicht auf ein einzelnes, populäres und ikonisiertes Lied beschränkt sind. Sogar in diesem Dokumentarfilm zeigen sie ohne Umschweife die Situation der Entstehung dieses legendären Stücks – in einer kleinen, streng überwachten Wohnung schrieb der frühere Bandmidglieder Mars Bonfire mit minimaler Lautstärke den „heavy mental thunder“, der unzählige Hard-Rock- und spätere Heavy-Metal-Künstler inspirierte. 

Wenn das Publikum eine leise gesungene Version von Born to be Wild hört, wird vielleicht klar, dass der Beitrag der Band zur Zeit eher eine Mischung aus natürlicher Dynamik und genauem Maß an Zurückhaltung war. Diese Natürlichkeit zeigt sich zunächst in ihrer treuen und oft unverblümten Darstellung und Reflexion der Zeit. Zum Beispiel führte die direkte Darstellung des Drogengeschäfts in ihrem bekannt gewordenen Stück The Pusher aufgrund des Films Easy Rider zu gefährlichen Situationen für sie. In späteren Werken integrierte John Kay Kritik und Reflexion in seine Texte und versuchte, durch seine Musik in die Politik einzugreifen, was zu noch mehr Widerstand führte.

Auf einer chinesischen Webseite wird Steppenwolf mit einem Satz zusammengefasst: „Eine Hard-Rock-Band, die zu früh gealtert ist.“ Wenn man sagen kann, dass der Erfolg von Steppenwolf Ende der 60er Jahre von der natürlichen Dynamik der Zeit mitgetragen wurde, dann ist ihr Niedergang ebenso sanft mit dem Rückgang der Ära verbunden. Steppenwolf veröffentlichte bis Ende der 70er Jahre noch mehrere Alben und setzte ihre Erkundung verschiedener Stile fort. Außer dem von psychedelischer Musik stärker beeinflussten Magic Carpet Ride gelang es jedoch keinem anderen Werk, erneut breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Gegensatz zu Künstlern wie David Bowie und Alice Cooper, die in den 70er Jahren erfolgreich ein markantes Image pflegten, blieb Steppenwolf stets etwas abseits des „Stardom“-Trends im Rock. Mit dem Rückzug von John Kay, der zunehmenden Entfremdung zwischen ihm und Nick sowie zahlreichen Streitigkeiten über die Nutzung des Bandnamens wurde der einst legendäre Name Steppenwolf allmählich entwertet und schnell vergessen. 


Am 30. Juni 2024 trafen sich der 80-jährige John Kay und Nick St. Nicholas bei der Premiere des Band-Dokumentarfilms auf dem Münchner Filmfest und vollzogen nach mehreren Jahrzehnten ihre Versöhnung. 

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